Im Jahr 1989 empfahl das CCVP (Codex Committee on Vegetable Proteins) eine neue Methode zur Bewertung der Proteinqualität in pflanzlichem und tierischem Nahrungseiweiß. Als zweckmäßigste Methode für alle Zielgruppen, ausgenommen der Altersgruppe von Kleinkindern bis 1 Jahr, wurde der Aminosäurenindex (Amino Acid Score, Chemical Score) eingestuft, unter Verwendung des Referenzproteins der FAO/WHO/UNU der Zielgruppe 2- bis 5-jähriger Kinder von 1985 sowie die Korrektur des Indexes mit der Verdaulichkeit dieses Nahrungseiweißes. Die neue Methode sollte Ergebnisse liefern, die mit klinischen Studien zur Proteinqualität übereinstimmen bzw. sich in einem tolerierbaren Bereich bewegen, auf alle in der menschlichen Ernährung enthaltenen Lebensmittel anwendbar sein und Ergebnisse aus Verbundstudien sollten eine ausgezeichnete Reproduzierbarkeit besitzen.1
10. Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score (PDCAAS)
Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score = AAS x wahre Verdaulichkeit
AAS = Amino Acid Score
Als Erweiterung der bis dahin wichtigsten Berechnungsformel stellte der Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score schließlich von 19892 bis 20113 die beste Methode dar, ein Nahrungseiweiß zu bewerten. Interessant ist, dass in der Berechnungsformel auf die Verdaulichkeit und nicht auf die Bioverfügbarkeit abgestellt wird. Aber worin liegt der Unterschied?
Was ist der Unterschied zwischen Bioverfügbarkeit und Verdaulichkeit?
Die Bioverfügbarkeit gibt an, welcher prozentuale Anteil einer aufgenommenen Substanz im Blutkreislauf ankommt und dem Stoffwechsel in einer brauchbaren Form zur Verfügung steht. Die Verdaulichkeit hingegen gibt an, welcher prozentuale Anteil einer aufgenommenen Substanz im Darmtrakt absorbiert werden kann. Es können aber von der Absorption im Darm bis zum Erreichen des Blutkreislaufes weitere Verlust auftreten, da die Nährstoffe noch über die Pfortader die Leber passieren müssen und erst danach im Blutkreislauf dem Stoffwechsel zur Verfügung stehen.
Abbildung 12: Verdauungsorgane des Menschen, über den Verdauungstrakt gelangen Aminosäuren in den Körper.
Vor allem bei unentbehrlichen Aminosäuren ist der Verlust in der Regel sehr gering, d. h. Verdaulichkeit und Bioverfügbarkeit können quasi gleichgesetzt werden. Dennoch können unter besonderen Umständen, wenn nämlich in kurzer Zeit größere Mengen an Aminosäuren zugeführt werden und damit hohe Aminosäurenspiegel im Blut entstehen, diese überschüssigen Aminosäuren von der Leber zurückgehalten bzw. abgebaut, d. h. katabolisiert werden, bevor sie dem Körper zur Verfügung stehen. Dabei lässt die Leber bei unentbehrlichen Aminosäuren höhere Spiegel im Blut zu als bei bedingt entbehrlichen und entbehrlichen Aminosäuren.
Bei Nahrungsmitteln mit einer niedrigeren Proteinqualität müssen entsprechend größere Mengen verzehrt werden, die wiederum größere Mengen an Aminosäuren mit einem höheren Anteil an bedingt entbehrlichen und entbehrlichen Aminosäuren enthalten im Vergleich zu Nahrungsmitteln mit höherer Proteinqualität. Damit können die Unterschiede zwischen Verdaulichkeit und Bioverfügbarkeit, beispielsweise in Bezug auf die Aminosäuren Cystein und Tyrosin, nicht mehr vernachlässigbar sein.
Ein weiterer Unterschied zwischen Bioverfügbarkeit und Verdaulichkeit ergibt sich, wenn eine Substanz in einer chemischen Form aufgenommen wird, die zwar verdaulich ist, also im Darm absorbiert werden kann, aber nicht vom Körper verwertet werden kann. Dies kann bei oxidierten Aminosäuren vorkommen, welche in der veränderten Form im Stoffwechsel nicht nutzbar sind.
Wie wird die wahre Verdaulichkeit berechnet?
Die wahre Verdaulichkeit eines Nahrungseiweißes wird anhand des enthaltenen Stickstoffs ermittelt, d. h. die Verdaulichkeit ist das Verhältnis von absorbiertem Stickstoff zu aufgenommenem Stickstoff. Da allerdings der absorbierte Stickstoff nicht direkt ermittelt werden kann, wird dieser aus der Differenz zwischen aufgenommenem und fäkal ausgeschiedenem Stickstoff errechnet.
Wie bei der klassischen Biologischen Wertigkeit, im Abschnitt "Wie wird Eiweiß verdaut?" bereits erläutert, befindet sich im Magen-/Darmtrakt aber nicht nur Nahrungseiweiß, sondern in nicht unerheblichem Maße auch körpereigenes Eiweiß. Zur Bestimmung des körpereigenen Eiweißanteils wird zu Referenzzwecken eine eiweißfreie Diät durchgeführt und der fäkal ausgeschiedene Stickstoff damit ermittelt. Zwar wird der Körper bei Eiweißmangel in der Ernährung seine Eiweiß-Rückgewinnung im Darm verbessern, aber dennoch ist diese Methode eine gute Näherung um möglichst realistische Verdauungsraten bestimmen zu können.
Die Berechnungsformel für die wahre Verdaulichkeit sieht demnach folgendermaßen aus:
wahre Verdaulichkeit | = |
|
Nauf,T = aufgenommener Stickstoff von Test-Nahrungseiweiß
Nfäk,T = fäkal ausgeschiedener Stickstoff von Test-Nahrungseiweiß
Nfäk,R = fäkal ausgeschiedener Stickstoff von Referenz-Diät ohne Eiweiß
Die möglichen, berechneten Werten für die wahre Verdaulichkeit liegen immer zwischen 0 und 1.
Eiweiß-Verdaulichkeit einiger Nahrungsmittel
Nahrungsmittel
wahre Verdaulichkeit
Weizengluten
0,99
Hühnerei
0,97
Milch, Käse
0,95
Soja-Proteinisolat
0,95
Fleisch, Fisch
0,94
Erdnüsse
0,94
Haferflocken
0,86
Mais
0,85
Bohnen
0,78
Tabelle 5: Wahre Eiweiß-Verdaulichkeit des Menschen einiger Nahrungsmittel (FAO, Food and Nutrition Paper No. 51, Protein quality evaluation, 1989, S. 32, Table 8)
Wie wird der PDCAAS berechnet?
Um den PDCAAS zu berechnen, wird die oben genannte Formel angewendet. Zur Berechnung des Amino Acid Scores (Chemical Scores) wird für alle Zielgruppen, ausgenommen der Altersgruppe Kleinkinder bis 1 Jahr, als Referenzprotein das im WHO Technical Report Series No. 724 von 1985 für Kinder im Alter von 2 bis 5 Jahren festgelegte Aminosäurenprofil verwendet. Für Kleinkinder bis 1 Jahr wird das entsprechende Referenzprotein im WHO Technical Report Series No. 724 von 1985 eingesetzt, welches dem Aminosäurenprofil der Muttermilch entspricht.4 Die Berechnungsformel für den Amino Acid Score (AAS) wird in der absoluten Version verwendete, so wie später im Jahr 2007 im WHO Technical Report Series No. 935 dargestellt. Bei der Festlegung 1989 wurde aber auch auf die optionale Darstellung des AAS´ in der prozentualen Version verwiesen, wobei sich letztlich aber die absolute Version durchgesetzt hat.5 Der resultierende PDCAAS-Wert ist demnach auch ein absoluter Wert.
Amino Acid Score (AAS) | = | min | ({ | ..., |
| , ... | }) |
ASi,T = Aminosäurei bzw. Aminosäurengruppei im Testprotein mit 1≤i≤n
ASi,R = Aminosäurei bzw. Aminosäurengruppei im Referenzprotein mit 1≤i≤n
n = Anzahl der Aminosäuren bzw. Aminosäurengruppen im Referenzprotein
PDCAAS-Referenzprotein der WHO von 1985 (außer Kleinkinder bis 1 Jahr)
Aminosäuren
g pro 100 g Eiweiß
Histidin
1,9
Isoleucin
2,8
Leucin
6,6
Lysin
5,8
Methionin + Cystin
2,5
Phenylalanin + Tyrosin
6,3
Threonin
3,4
Tryptophan
1,1
Valin
3,5
Tabelle 6: PDCAAS-Referenzprotein der WHO für alle Zielgruppen, ausgenommen Kleinkinder bis 1 Jahr, von 1985 (WHO, Technical Report Series No. 724, Energy and protein requirements, 1985, S. 121, Table 38)
Der so ermittelte Amino Acid Score (AAS) wird anschließend mit der wahren Verdaulichkeit multipliziert und ergibt den PDCAAS. Da somit die PDCAAS-Werte bei höherwertigen Nahrungsproteinen auch größer als 1 bzw. in der prozentualen Darstellung größer als 100 % sein können, wurde festgelegt größere Werte einfach auf 1 bzw. 100 % zu kürzen.6
Ist es sinnvoll, den PDCAAS generell auf den Wert 1 zu kürzen?
Häufig wird in Beschreibungen zum PDCAAS erklärt, dass ein PDCAAS-Wert größer als 1 nicht sinnvoll wäre und dieser deshalb gekürzt werden müsse. Auch die WHO hat sich in ihrem Technical Report Series No. 935 von 2007 dazu geäußert und darauf verwiesen, dass hierzu noch Forschungsarbeit notwendig sei. Des Weiteren wird in Verbindung mit einer Diät und dem Ziel, gerade so viel Eiweiß aufzunehmen wie erforderlich, um kein Defizit zu riskieren, häufig empfohlen einen PDCAAS-Wert von 1 anzustreben.
Die Zielsetzung bei dieser Methode gibt aber eine Begrenzung im Grunde gar nicht vor. Es wäre also durchaus korrekt und sogar wünschenswert, bei höherwertigem Nahrungseiweiß, im Vergleich zum Referenzprotein, den PDCAAS-Wert nicht zu kürzen, falls dieser größer als 1 ist, um diese entsprechend kennzeichnen zu können und so gezielt Aminosäurendefizite in minderwertigem Nahrungseiweiß in einer Mischkost auch kalkulatorisch ausgleichen zu können. Wird der PDCAAS-Wert jedoch gekürzt, ist ein sehr hochwertiges Nahrungseiweiß als solches gar nicht mehr erkennbar. Folglich könnte dadurch die Eiweißaufnahme unnötig erhöht sein und das, vor allem bei Diäten angestrebte Gleichgewicht im Eiweißstoffwechsel gestört werden. Schlussfolgernd ist eine generelle Begrenzung des PDCAAS´ als nicht sinnvoll einzustufen.
Welche Nachteile hat der PDCAAS?
Da auch von der FAO im Food and Nutrition Paper No. 92, Dietary protein quality evaluation in human nutrition von 2013 eine Kürzung des PDCAAS´ als nicht sinnvoll und die wahre Verdaulichkeit des gesamten Proteins als nicht hinreichend genau und zutreffend bewertet wurde, wird diese Bewertungsmethode der Proteinqualität für Nahrungsmittel durch eine neue Methode, den Digestible Indispensable Amino Acid Score (DIAAS) abgelöst.7
PDCAAS für einige Lebensmittel
Lebensmittel
PDCAAS
Molkenprotein
1,00 (1,15)
Hühner-Volleiprotein
1,00 (1,18)
Kuhmilch
1,00 (1,21)
Rindfleisch
0,92
Casein
1,00 (1,23)
Sojaprotein
0,91
Tabelle 7: Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score (PDCAAS) einiger Lebensmittel (Gerdes, Sharon K., überarbeitet von Kenney, Audrey, U. S. Whey ingredients and weight management, U. S. Dairy Export Council, 2003, S. 2)
10.1 Wie hoch ist der PDCAAS in einem Testprotein?
Mit Hilfe der nachfolgenden Formulare ist die Berechnung des PDCAAS´ für ein eiweißhaltiges Lebensmittel für alle Zielgruppen, ausgenommen Kleinkinder bis 1 Jahr, möglich.
Wie hoch ist der Gehalt an Aminosäuren?
Bei der Ermittlung der Gewichtsanteile der entsprechenden Aminosäuren ist zu beachten, dass der Gehalt an Aminosäuren sich nicht auf das gesamte Lebensmittel bezieht, sondern nur auf den Eiweißgehalt. Die Angaben der Anteile der Aminosäuren sind also prozentual, d. h. in g pro 100 g Eiweiß anzugeben.
Geben Sie die Gewichtsanteile in g pro 100 g Eiweiß sowie die wahre Verdaulichkeit ein:
Da beim PDCAAS mindestens eine Aminosäure die limitierende ist, erscheint diese nach der Berechnung in roter Schrift.
Ist der ermittelte PDCAAS-Wert größer als 1, so wird er auf 1,00 gekürzt und in Klammern der ungekürzte Wert angezeigt.
DIAAS
Literaturnachweis
1. FAO, Food and Nutrition Paper No. 51, Protein quality evaluation, 1989, S. 4.
2. FAO, Food and Nutrition Paper No. 51, Protein quality evaluation, 1989, S. 1-2.
3. FAO, Food and Nutrition Paper No. 92, Dietary protein quality evaluation in human nutrition, 2013, S. 3.
4. WHO, Technical Report Series No. 724, Energy and protein requirements, 1985, S. 121, Table 38.
5. FAO, Food and Nutrition Paper No. 51, Protein quality evaluation, 1989, S. 35, 59.
6. FAO, Food and Nutrition Paper No. 51, Protein quality evaluation, 1989, S. 35.
7. FAO, Food and Nutrition Paper No. 92, Dietary protein quality evaluation in human nutrition, 2013, S. 13, 16.
Abkürzungen
CCVP - Codex Committee on Vegetable Proteins, zu Deutsch: Ausschuss für pflanzliche Proteine
FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations, zu Deutsch: Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, auch als Welternährungsorganisation bekannt
WHO - World Health Organization, zu Deutsch: Weltgesundheitsorganisation
UNU - United Nations University, zu Deutsch: Universität der Vereinten Nationen
PDCAAS - Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score
AAS - Amino Acid Score
DIAAS - Digestible Indispensable Amino Acid Score